6. Februar 2025

The Full Monty (Ganz oder gar nicht), 1997

Neulich kam im Fernsehen mal wieder mein absoluter Lieblingsfilm: The Full Monty. Ich habe ihn bestimmt schon fünf-, sechsmal gesehen oder sogar öfter, zuerst in der deutschen Synchronfassung und dann noch diverse Male auf Englisch, aber als ich zufällig gerade vor der Glotze saß und der Film begann, musste ich dennoch sitzen bleiben und ihn noch mal sehen. Und ich könnte ihn noch hundertmal sehen und werde das vielleicht auch, zumindest annähernd, ohne genug davon zu kriegen.

Warum liebe ich diesen Film so sehr? Eigentlich ist er gar nicht so typisch für Filme, die mich anziehen. Zunächst einmal handelt er nämlich nur von Männern. Außerdem ist vieles, was er thematisiert, nicht etwa aufheiternd, sondern tieftraurig: Es geht um Arbeitslosigkeit in einer der trostlostesten ehemaligen Industriestädte Englands, in der die Fabriken jetzt leer stehen; um einen herzzerreißenden Sorgerechtsstreit, einen Selbstmordversuch und eine scheiternde Ehe. Um ein paar abgefuckte Existenzen, Typen, die teils durch Schicksalsschläge, teilweise aber auch durch die eigene Sturheit, Unbeherrschtheit oder ihren Stolz ihr Leben in Scherben fallen sehen. Und schließlich besteht der Höhepunkt der Handlung in einer Striptease-Vorstellung, Inbegriff von Sexualisierung und Objektifizierung!

Aber es geht auch noch um so viel mehr, wofür diese Ereignisse nur den Hintergrund bilden, Dinge, die auch in meinem Leben wichtiger sind als alles andere: Freundschaft und Akzeptanz und die Überwindung von Unsicherheit und Selbstzweifeln. Und irgendwie schafft es der Film, auch in den traurigsten Momenten lustig zu sein, nicht auf eine schenkelklopfende, sondern auf eine bittersüße, berührende Art. Bei dem Selbstmordversuch springt etwa das Auto nicht an, mit dem sich ein junger, einsamer Mann, der außer seiner schwerkranken Mutter niemanden hat, mit Kohlenmonoxid vergiften will. Die beiden Protagonisten kommen zufällig vorbei und reparieren ihm, völlig verpeilt, das defekte Teil – nur um dann nach der höflichen Verabschiedung gerade noch rechtzeitig zu kapieren und zurückzurennen. Anschließend erklären sie ihm ihre Freundschaft, indem sie ihm versichern, sie würden ihm jederzeit helfen, die verzweifelte Tat (die nun gar nicht mehr zur Debatte steht) kompetent und erfolgreich durchzuführen. Eine andere Freundschaft entsteht mit dem ehemaligen und jetzt ebenfalls arbeitslosen Vorarbeiter der beiden Kumpels, dessen tragisches Geheimnis darin besteht, dass er seiner Frau auch nach Monaten noch nichts von seinem Jobverlust erzählt hat. Er bemüht sich aber im Gegensatz zu den beiden ernsthaft um eine neue Stelle, behandelt sie deshalb von oben herab und bekommt die – ziemlich gemeine – Quittung, als sie ihm durch Kaspereien vor dem Fenster ein lang ersehntes Vorstellungsgespräch zunichtemachen. Es folgt eine sehr rührende Entschuldigung – und ein Entschädigungsangebot: die Beteiligung an einer männlichen Strip-Performance. Nach dem Motto „Was die Chippendales können, können wir auch“ ist das die durchgeknallte Idee des geschiedenen Vaters Gaz, um das Geld zu beschaffen, das er seiner Exfrau an Unterhalt schuldet.

Natürlich gibt es Hindernisse, jede Menge. Gerald, der Vorarbeiter, kann zwar tanzen, aber beim ersten Versuch des eleganten Ablegens von Kleidungsstücken zerren die vier sehr unelegant an ihren Hosenbeinen oder fallen um. Sie müssen also ein „Vorstrippen“ organisieren, um noch ein paar fähige Mitglieder für ihre Truppe zu finden. Für die Anzahlung zur Miete des Saals fehlt das Geld – das schließlich Nathan, der zehnjährige Sohn von Gaz, der ja auslösender Grund für die verrückte Aktion ist, im Vertrauen auf den Erfolg seines Loser-Vaters von seinem Sparbuch abhebt. Es gibt eine Verhaftung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, bei der sich alles durch das Überwachungsvideo der verlassenen Fabrik, die als Übungsraum dient, aufklärt: Es war nur eine Probe – und die Polizisten helfen bei der Auswertung des Videos, um Fehler in der Performance zu beheben. Und dann, als es ernst wird, kommen die Unsicherheiten ins Spiel. Ich bin zu dick, ich bin zu dünn, mein Penis ist zu kurz, was ist, wenn ich beim Anblick der vielen hübschen Frauen im Publikum einen unfreiwilligen Steifen kriege? Das ist vielleicht der Aspekt des Films, der mich am meisten berührt. Die männlichen Protagonisten wollen sich zwar maskulin und sexy zur Schau stellen – so weit, so Mainstream, oder vielleicht nicht einmal das, da im Mainstream-Hollywood nach wie vor der male gaze vorherrscht und es eher die Rolle der Frauen ist, sich sexy und verführerisch in Szene zu setzen. Dann aber begegnen den Männern all die Dämonen, die schädlichen Schönheitsideale, die gesellschaftlichen Standards und die vermeintlichen Erwartungen an die äußere Erscheinung, mit denen normalerweise nicht nur, aber sicher zum größeren Teil Frauen zu kämpfen haben. Männer auch, natürlich, aber für sie zeichnet die Unterhaltungsindustrie nicht im selben Ausmaß den Zwang vor, jung, schön und schlank (oder muskulös) zu sein. Der Film dreht den Mainstream um, stellt ihm komplett auf den Kopf: Die Männer machen sich zu Lustobjekten, und es ist der female gaze, dem sie sich aussetzen und von dem sie negative Bewertungen fürchten. Sie wollen Machos sein, aber gerade dadurch werden sie zum genauen Gegenteil, nämlich zu Menschen mit Schwächen und Ängsten und Zweifeln, die nicht perfekt sind und gerade dadurch liebenswert. Und es ist ihre Freundschaft und Loyalität, der Zusammenhalt in der Gruppe, die Liebe eines Sohnes, einer Ehefrau oder eines schwulen Partners, die jedem einzelnen von ihnen hilft, das gemeinsame Ziel doch noch zu erreichen. Allein, als einsame Helden, als klassische männliche Hollywood-Hauptfiguren, die retten, aber nicht gerettet werden, wäre ihnen das nicht möglich.

Die Film bietet also einen wunderbaren Gegenentwurf zum traditionellen Männerbild: eines, in dem stereotypische männliche Attribute – Härte, Durchsetzungskraft, Willensstärke bzw. Sturheit – keine Rolle spielen oder sogar Probleme bereiten. In dem es eher „unmännliche“ Eigenschaften und Handlungen sind, die zum Happy End führen: Tränen, Ausdruck von Gefühlen. Herumspielen mit einer verrückten Idee. Teamgeist statt Einzelgängertum. Hadern mit ein bisschen überschüssigem Körperfett, mit dem Aussehen. Sich-helfen-Lassen. Der ganze Film ist, obwohl dieser Begriff zum Zeitpunkt seiner Entstehung noch kein Schlagwort der Genderwissenschaften war, ein wirksames Gegengift zur toxic masculinity.

In der letzten Szene steht Dave, der mit dem Fett, der sich noch am Vortag der Show sicher war, dass niemand ihn strippen sehen wolle, doch noch in seiner Uniform auf der Bühne, nachdem er sich endlich seiner Frau anvertraut und von ihr gehört hat, dass sie ihn auf jeden Fall sehen will. Und in diesem Moment ist er, der sich „nur“ seiner eigenen Unsicherheit gestellt und sie besiegt hat, ein Held. Ein großartigerer, sexyerer Held als jeder Drachentöter, jeder Damsel-in-distress-Retter, jeder noch so kraftstrotzende Märchenprinz.

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