5. Februar 2025

Normal People (Sally Rooney)

Normal People von Sally Rooney habe ich aufgrund eines Hypes gelesen. Ich wusste darüber nur, dass es von einer Frau geschrieben und von allen Medien gelobt wurde, und fand es an der Zeit, meine Kenntnis zeitgenössischer Autorinnen zu erweitern.

Sally Rooney ist Irin und 16 Jahre jünger als ich, fast schon eine andere Generation. Das erfuhr ich aber erst, als ich ihr Buch schon in der Hand hielt und den Klappentext las. Als „Stimme der Millennials“ wurde sie da gepriesen, und ich fing an zu überlegen, ob ich das Buch wirklich noch lesen wollte. Ob es mir allein dieser Kategorisierung wegen zu jung, zu hip, zu fremd sein würde. Aber dann las ich es aus purem Geiz, ich hatte ja schließlich Geld dafür ausgegeben.

Zunächst fand ich mich in der Geschichte nicht zurecht. Die Sprache: kurze, einfache Sätze, unblumig, in ihrem Minimalismus stellenweise fast ein Angriff auf mein Stilbewusstsein, etwa wenn drei Sätze nacheinander mit he beginnen. Die Figuren: junge Erwachsene, anfangs im letzten Schuljahr und später auf der Universität, die sich in kritischen Situationen so verhalten wie ich es in diesem Alter auch tat, obwohl ich gerade das am liebsten vergessen würde. Die Handlung: eine schmerzhafte On-off-Liebesgeschichte, ebenfalls etwas, das in meinem eigenen Leben einer längst überwundenen und eher bitter als süß erinnerten Vergangenheit angehört. Ich fühlte mich tatsächlich zu alt für dieses Buch.

Dabei ist die Erzählweise insgesamt durchaus stimmig. Die Autorin nutzt den Sprachstil von WhatsApp-Nachrichten und Instagram-Kommentaren und bringt die Geschichte dadurch auf den Punkt, laserstrahlgenau, ohne ablenkende Ausschmückungen und ohne der Leserschaft ihre Wortgewaltigkeit aufzudrängen, wie es ältere, männliche Autoren gern tun. Hier steht die Sprache hundertprozentig im Dienste des erzählten Inhalts. Die Perspektive wechselt zwischen den beiden Protagonisten und beleuchtet die vielen vermeidbaren und deshalb umso traurigeren Missverständnisse, die sie über mehrere Jahre hinweg immer wieder auseinanderreißen, von beiden Seiten. Beide verletzen einander, aber alle diese Handlungsweisen sind nachvollziehbar erklärt, insbesondere im Kontext ihres jeweiligen Alters und sozialen Status. Es ist also kein Partner ein Antagonist. Im Gegenteil, die zwei Hauptfiguren sind dank der hin und her wechselnden Erzählperspektive so authentisch, so komplex und konfliktbelastet geschildert, wie es keiner anderen Figur vergönnt ist. Sämtliche anderen Personen sind flach, beinahe klischeehaft gezeichnet: Die Mutter der weiblichen Hauptfigur distanziert und lieblos, der Bruder gemein. Die Mutter des männlichen Protagonisten verständnis- und liebevoll, geradezu perfekt. Die Gleichaltrigen alterstypisch erwartbar, die Jungen in der Schule zeigen Nacktfotos ihrer Freundin, die Kommilitonen an der Uni sind entweder überneugierige Quasselstrippen oder arrogante reiche Schnösel – so dass man sich fragt, wieso die Protagonisten, beide intellektuell und tiefsinnig und jede Oberflächlichkeit ablehnend, überhaupt mit diesen Leuten befreundet sind, sie zu sich nach Hause einladen, die Ferien mit ihnen verbringen. In der Darstellung erscheinen alle Nebenfiguren so stereotypisch und blass, dass sie wie verwischte Farben und Formen im Hintergrund eines Gemäldes wirken, in dem nur die Protagonisten klar und deutlich porträtiert sind. Vielleicht ist das so beabsichtigt: Die Protagonisten werden ausschließlich in ihrer Beziehung zueinander charakterisiert. Aber dadurch, dass alles andere – ihre Kindheit, ihre Hobbys und Vorlieben, ihre engen Beziehungen außerhalb der Liebesgeschichte – lediglich angedeutet wird, scheint mir die Ausgestaltung der Figuren nicht tief genug zu gehen, nicht vollständig zu sein.

Die zentrale Geschichte der Seelenfreundschaft der beiden ist eingebettet in politische, gesellschaftliche und kulturelle Fragen. Die Hauptfiguren stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, sie reich, er arm (was aber, auch wieder seltsam eindimensional, dadurch ausgeglichen wird, dass er liebevoll umsorgt aufgewachsen und in der Schule beliebt ist, während sie in der Familie Gewalt erfährt und in ihrer Schulzeit den Gleichaltrigen als komische Außenseiterin gilt). Sie erleben die Finanzkrise als prägendes, umfassendes Ereignis ihres Erwachsenwerdens und treffen an der Uni auf Kommilitonen, deren Väter die Krise ganz direkt mitverursacht haben. Sie fühlen sich im Kreise der Einflussreichen und Vernetzten nicht wohl, profitieren aber halbherzig von deren Netzwerken. Sie sind sich im Klaren darüber, dass ihre finanzielle und berufliche Zukunft unsicher ist – die erste Generation, die in diesem Bewusstsein ins Studien- und Arbeitsleben trat. Sie diskutieren das Patriarchat und den Feminismus, ganz selbstverständlich äußert sich auch der männliche Protagonist im Sinne feministischer Ziele. Aber gleichzeitig ist ihre Beziehung zueinander von einem Machtgefälle geprägt, in dem er der stärkere Part ist; sie ist sexuell devot und lässt sich in Beziehungen mit anderen Männern immer wieder körperlich misshandeln. Der Protagonist ist der Einzige, mit dem sie die Gewalt nicht braucht, um sich begehrt und geborgen zu fühlen. Dennoch: Wie passt diese Dynamik zu einer Geschichte mit feministischem Anspruch? Ist es die Geschichte einer toxischen Beziehung, wie ich in Kritiken der auf dem Buch basierenden Fernsehserie oft gelesen habe? Oder gar die nachgerade antifeministische Geschichte eines männlichen, starken Retters und eines weiblichen, schwachen Opfers?

[Spoiler ab hier]

Ein wenig drängt sich das Klischee des rettenden Ritters und der Jungfrau in Nöten tatsächlich auf, weil der Protagonist seinen weiblichen Gegenpart mehr als einmal aus der Gewalt eines Mannes (eines Partners und des Bruders) befreit. Aber das ist nur die Oberfläche. Darunter findet eine Emanzipation, eine Selbstfindung statt, und zwar bei beiden. Der Protagonist wird mit der Erkenntnis seiner Macht konfrontiert, mit der Einsicht, dass er seine Partnerin „retten“ kann und dass sie ihn gewähren ließe, würde er seine körperliche Dominanz mit ihr ausleben; aber er entscheidet sich dagegen, er wählt bewusst die Zivilisation und nicht die barbarische Herrschaft des körperlich und sexuell Stärkeren. Die Erzählung zwingt ihn also gewissermaßen dazu, die traditionelle Männerrolle zu überwinden und sich gerade nicht darüber zu identifizieren. Die Protagonistin wiederum lernt, ihre devote Tendenz zu akzeptieren, ohne sie mit einem gewalttätigen Partner realisieren zu müssen; sie begreift, dass sie durch diese Neigung nicht einseitig abhängig, sondern dass die Abhängigkeit gegenseitig ist, wenn man sich wirklich auf die Liebesbeziehung einlässt. Ihr gestattet die Erzählung, so zu leben wie sie will, so, wie sie ist – als gleichwertige Partnerin, ohne Be- oder Verurteilung. Etwas Feministischeres als eine gleichberechtigte, von gegenseitigem Respekt geprägte Beziehung zwischen Frau und Mann kann es eigentlich nicht geben. Und eine solche Beziehung gesteht die Erzählung ihren Figuren am Ende zu: in gegenseitiger Anerkennung ihrer Bedürfnisse, Stärken und Schwächen, aber auch im gegenseitigen Vertrauen, dass nichts davon ausgenutzt oder missbraucht wird.

Es wird oft behauptet, die Generation der Digital Natives sei extrem individualistisch, online global vernetzt, aber auf der persönlichen Ebene einsam und ohne Empathie. Normal People ist ein Buch von einer Digital Native, über und für Digital Natives. Und es beweist ganz klar das Gegenteil.

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